Grundsätzliches zur homöopathischen Anamnese und Therapie bei alten Menschen

Die umfassende Beratung und Begleitung alter Menschen ist für den homöopathischen Therapeuten eine recht komplexe Aufgabe und bedeutet oft langjährige ganzheitliche Betreuung, Erkennung von gesundheitlichen Risiken und Hilfe bei der präventiven Lebensgestaltung. Auch die Einbeziehung der engen Verwandten kann dabei notwendig und hilfreich sein.

Wenn ein alter Mensch in die Praxis kommt, so muss uns bewusst sein, dass sein Geburtsdatum noch nicht viel über sein Alter und seinen Gesundheitszustand aussagt. Es gibt ja immer wieder erstaunlich fitte, gepflegte und geistig klare Neunzigjährige, aber auch Menschen in den Sechzigern, die uns große Sorgen über ihre sehr alt wirkende Erscheinung machen.

 

Homöopathie im Alter – Vorgehensweise

 

Die homöopathische Anamnese beim alten Menschen ist ein wichtiger Bestandteil des diagnostischen Prozesses, wo diejenige Person im Moment in allen Belangen seines Lebens steht.
Man bekommt dadurch eine Art Profil, das Ressourcen genauso umfasst wie schwächende Einflussfaktoren im Leben, wie zum Beispiel auch die finanzielle Lage, das psychosoziale Umfeld, Ernährung, Bewegung usw. und kann einen komplexen Therapieplan ausarbeiten.

 

Psychosoziale Schwierigkeiten älterer Patienten, die in der Homöopathie im Alter berücksichtigt werden müssen

 

Trotz der mannigfaltigen Schwierigkeiten älterer Menschen ist es wichtig für sie, dass sie auch in diesem Lebensabschnitt ihre Würde behalten.
Ältere Menschen fühlen sich in mehrfacher Hinsicht benachteiligt:

  • Politisch vernachlässigt
  • Kulturell bevormundet
  • Ökonomisch nutzlos, außer wenn es darum geht, sie als besondere Konsumentengruppe zu entdecken
  • Rollen- und Funktionsverluste durch Beendigung des Berufslebens, in der Familie
  • Physischer Abbau des Körpers mit den verschiedenartigsten Behinderungen
  • Geistiger Abbau mit mentalen Störungen
  • Emotionale Labilität
  • Alterskrankheiten

Die Multimorbidität dieser Patientengruppe erfordert ein besonderes Vorgehen in der Anamnese und der Einschätzung der Pathologie.
Viele Krankheiten verlaufen atypisch, zum Beispiel bakterielle Harnwegsinfekte, Pneumonien, Appendizitiden usw. Gleichzeitig verlängert sich aufgrund des Alters mit den bestehenden Immundefizienzen die Rekonvaleszenz.

 

Der seelische Bereich als Ursache für Beschwerden, der in der Homöopathie im Alter unbedingt beachtet werden muss

 

Ein äußerst wichtiger und sensibler Aspekt in der Pathologie bei älteren Menschen ist die psychische Verfassung.
Partnerverlust, fehlender Kontakt zu Kindern und Enkeln, das Sterben von Geschwistern oder langjährigen Freunden kann zu schweren psychischen und körperlichen Krisen führen. Auch der Umzug in ein Altersheim, das Aufgeben der jahrzehntelangen Wohnumgebung ist für viele ein traumatischer Prozess.
Auch die Furcht vor dem Sterbeprozess und dem Tod treibt viele alte Menschen um.

Nicht zu unterschätzen sind, solange ein gutes Erinnerungsvermögen vorhanden ist, unverarbeitete Traumen der ferneren Vergangenheit, Kriegs- und Vertreibungserlebnisse, früher Verlust der eigenen Eltern oder von Kindern usw.

Depressionen beim älteren Menschen verbergen sich oft hinter den Symptomen einer Pseudo- Demenz und müssen daher sorgfältig fachärztlich abgeklärt werden ( auch somatische Störungen wie Hypothyreose, Stoffwechselstörungen und Vitaminmängel gehören zur Differenzialdiagnose ).

Hier muss die Anamnese einfühlsam und sorgfältig geführt werden, nachdem ein guter Rapport mit
vertrauensvollem Kontakt aufgebaut wurde.

 

Weitere Störungsbilder, die im Fokus der homöopathischen Anamnese im Alter  stehen

 

  • Schlafstörungen
  • Bewegungseinschränkungen
  • Bettruhe und die Schwierigkeiten der Mobilisierung
  • Inkontinenz
  • Schwindel
  • Stuhlgangprobleme

Besonders beachtenswert sind auch die Themen Arzneikrankheit und Organschwächen wie Herz, Niere und Leber, zentrales und peripheres Nervensystem.

Im Gegensatz zur homöopathischen Anamnese und Therapie bei jüngeren Menschen wird der Schwerpunkt auf die jetzige Lebens- und Gesundheitssituation gelegt; frühere erworbene Krankheiten und/ oder hereditäre miasmatische Belastungen werden zwar vermerkt, spielen aber für die Arzneiwahl eine eher untergeordnete Rolle.

Da man im allgemeinen von einer eher geschwächten Lebenskraft der älteren Menschen ausgehen kann, wird sich die Wahl der Potenzhöhe eher im Bereich niedrige C – Potenzen ( C 6- C 12 ) oder niedrigen LM- Potenzen bewegen.
Ergänzend haben sich phytotherapeutische organotrope Arzneimittel wie pflanzliche Urtinkturen für die stützende Behandlung von Organschwächen bewährt.

Der homöopathische Therapeut sollte neben der spezifischen homöopathischen Arzneitherapie für eher engmaschige Gesprächstermine sorgen, damit er dem älteren Patienten regelmäßig die Gelegenheit gibt, sich auszusprechen und die Erfahrungen mit der Therapie mitzuteilen.